Ein Zeichen des Umdenkens
Bericht von Hilde Schramm
Das ist eine Nachricht wert. Denn Argyris S., der als Kind von vier Jahren das Massaker in Distomo überlebte, hat sich über Jahre gerichtlich und außergerichtlich mit dem deutschen Staat angelegt.
Der Initiator dieser Überraschung ist Reinhard Schabbon, ein pensionierter Gymnasiallehrer vom Bodensee. Und so kam er dazu: „Vor einigen Monaten stieß ich im Internet mehr oder weniger zufällig auf eine epd-Nachricht vom 25.05.2021, die mich geradezu elektrisierte: `Italienischer Nazi-Jäger´erhält Bundesverdienstkreuz.“ (Es handelt sich um den Militärstaatsanwalt Marco De Paolis.) „Ich konnte es kaum glauben und ließ mir die Meldung deshalb vom Bundespräsidialamt bestätigen“ (aus einer Mail von Reinhard Schabbon vom 14.02.2022).
Reinhard Schabbon lehrte von 1993 bis 1997 an der Deutschen Schule in Athen. Aus dieser Zeit kennt er Argyris S. persönlich. Später fuhr er jedes Jahr mit Schülern und Schülerinnen nach Griechenland, auch nach Distomo.
Argyris Sfountouris hatte in Zürich Mathematik und Physik studiert, wurde Physiklehrer und später Entwicklungshelfer. Seit 1995 kämpfte er gegen die „Distomo Lüge“ – so seine Wortprägung für die Nicht-Anerkennung des Massakers in Distomo als NS-Kriegsverbrechen. Diese Leugnung galt für alle Massaker an der Zivilbevölkerung in Griechenland. Für die deutsche Regierung aber waren die Kriegsverbrechen ganz offiziell nichts weiter als „Maßnahmen im Rahmen der Kriegsführung“.
Zusammen mit anderen aus Distomo reichte Argyris Sfountouris 1995 eine Schadensersatzklage gegen die Bundesrepublik Deutschland ein. Zwar wurde eine materielle Entschädigung am 26. Juli 2003 in 3. Instanz vom Bundesgerichtshof in Karlsruhe aus formalen Gründen abgelehnt, aber in der Urteilsbegründung bezeichnen die Richter des BGH „das Massaker von Distomo als eines der abscheulichsten Kriegsverbrechen Deutschlands im Zweiten Weltkrieg“. Das war das Ende der „Distomo Lüge“.
Inzwischen hat sich in der deutschen Politik die Bezeichnung „Kriegsverbrechen“ für die Massaker weitgehend durchgesetzt – bislang allerdings ohne materielle Folgen.
Ende März / Anfang April 2022 wird der deutsche Botschafter in Athen das Bundesverdienstkreuz an den Kämpfer gegen das Jahrzehnte lange Nachkriegsunrecht übergeben. Ob er diese Ehrung überhaupt annehmen würde, war für Reinhard Schabbon gar nicht sicher. Aber Argyris Sfountouris freut sich.