BVG: Regierung Merkel wollte Griechenland aus dem Euro werfen und übertrat damit Kompetenzen

Auf dem Höhepunkt der Euro-Krise wollte die deutsche Regierung Griechenland aus dem Euro werfen. Damit ist sie 2015 zu weit gegangen.

Juli 2015: Höhepunkt der Euro-Krise, Schäuble will Griechenland aus dem Euro werfen. Ende Mai 2021: Das Bundesverfassungsgericht (BVG) sieht im Vorgehen der von Union und SPD gebildeten Regierung eine Verletzung der Rechte des deutschen Parlaments.

2015 versucht Finanzminister Schäuble mit erpresserischen Mitteln Griechenland aus dem Euro zu drängen. Es kommt zum Konflikt innerhalb der Bundesregierung, mit dem Deutschen Bundestag, in der Eurogruppe und mit den anderen Südländern der Eurozone und natürlich mit dem von SYRIZA/ANEL regierten Griechenland. Im Mai 2021 hat jetzt das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass die Bundesregierung den Bundestag verfassungswidrig übergangen hat. Ein solch schwerwiegender europapolitischer Schritt wie der Ausschluss Griechenlands aus dem Euro hätte vorher vom Bundestag beraten werden müssen. Ein Sieg der oppositionellen Grünen und der parlamentarischen Demokratie.

Ob Griechenland und auch die EU ohne den Euro besser dastehen könnten, ist eine andere Frage. Aber wie die Bundesregierung und insbesondere Finanzminister Schäuble im Juli 2015 vorgingen, war auf jeden Fall inakzeptabel und hat viel Protest und Gegenwehr ausgelöst. 

In dem von Manuel Sarrazin und Sven-Christian Kindler für die grüne Bundestagsfraktion angestrengten Verfahren vor dem BVfG ging es um das Vorhaben des damaligen Finanzministers Schäuble, Griechenland unter Umgehung des deutschen Bundestags aus dem Euroraum zu werfen. Dazu hatten Beamte des Finanzministeriums am 10. Juli 2015 ein Non-Paper verfasst und als inoffizielle Position der deutschen Bundesregierung (laut Tagesspiegel vom 15.07.2015 zwischen Merkel, Schäuble und Gabriel, SPD, abgestimmt) an den Vorsitzenden der Euro-Gruppe, den Präsidenten der Euro Working Group, den Präsidenten der Europäischen Kommission, den Ratspräsidenten und an EZB-Präsident Draghi geschickt. Es sollte als Grundlage dienen für die anstehenden Verhandlungen über das Griechenland-Programm. In wenigen Sätzen wird die griechische Regierung vor die Wahl gestellt, entweder staatliche Vermögenswerte im Wert von 50 Milliarden Euro an einen ausländischen Fonds zu übertragen, der Auslandsgläubigern als Sicherheit zugutekommen sollte, oder aus dem Euroraum auszuscheiden.

Mit dieser Haltung reagierte die deutsche Regierung auf das von Ministerpräsident Tsipras gewonnene Referendum, das jedem weiteren europäischen Memorandum/Sparprogramm ein geschichtsträchtiges Oxi/Nein entgegengesetzt hatte. Statt, wie von Tsipras gehofft, den Willen des griechischen Souveräns zu akzeptieren, wollte Deutschland die Entscheidung: entweder nationale Souveränität und Austritt aus dem Euro oder Verbleib im Euro und Preisgabe der nationalen Vermögenswerte zur Absicherung der Kreditgeber.

Es war voraussehbar, dass keine griechische Regierung der Übertragung staatseigner Unternehmen und Vermögenswerte an einen Luxemburger Fonds zum Zweck der Verwertung zugunsten von Auslandsgläubigern zustimmen würde. Da diese erste vom Bundesfinanzministerium gebotene Alternative von vornherein ausschied, war klar, dass es dem deutschen Finanzminister allein darum ging, Griechenland aus dem Euroraum zu drängen. Um dieses Ausscheiden noch bedrohlicher erscheinen zu lassen, wurde auch die Frage in den Raum gestellt, ob mit dem (ggf. temporären) Austritt aus dem Euro nicht auch gleich der Austritt aus der EU verbunden sein müsse. Griechenland könne dann zwar „souverän“ seine Dinge selbst regeln, wäre aber dem Finanzmarkt und aggressiven Nachbarn mehr denn je hilflos ausgeliefert.

Eine solch weitreichende Initiative als Position der deutschen Regierung in der Eurogruppe zu vertreten, war eine eklatante Kompetenzüberschreitung der Exekutive. Gerade in Europafragen, so das BVfG, muss der Bundestag eng eingebunden werden, da sonst die Gefahr besteht, dass exekutive Gremien wie der europäische Rat oder demokratisch nicht kontrollierte technokratische Institutionen wie die EZB grundlegende Entscheidungen fällen, die dann das Parlament dauerhaft binden, ohne dass es zuvor darüber beraten und abgestimmt hat. Das BVfG sieht sich als Hüter des nationalen Demokratieprinzips. Das deutsche Parlament muss in europapolitischen Fragen immer das entscheidende Wort haben, besonders in Fragen des Budgets, bei dem es um das sog. Königsrecht des Parlaments geht. Die Entscheidung des Verfassungsgerichts liegt auf dieser Linie. In diesem Fall wird sie von den Grünen begrüßt. Das Urteil des Verfassungsgerichts vor einem Jahr zu den Anleihekäufen der EZB ebenso wie die Bedenken des Gerichts gegenüber der neu geschaffenen Möglichkeit der EU, sich durch Schuldenaufnahme Eigenmittel für den Corona-Hilfsfonds zu verschaffen, folgen diesem Prinzip, auch wenn die Grünen sie eher als für die EU hinderlich kritisieren.

Das Bundesverfassungsgericht gab mit dem Beschluss vom 26. Mai der Grünen Bundestagsfraktion recht und urteilte, dass die Bundesregierung die Unterrichtungs- und Mitwirkungsrechte des Bundestags nach Art. 23 Abs. 2 GG verletzt hat. Der Beschluss
des Bundesverfassungsgerichts findet sich 
hier.

Wie ist die Episode damals ausgegangen? Dem Vernehmen nach hat Bundeskanzlerin Merkel am Wochenende vom 11./12. Juli 2015 Finanzminister Schäuble ihrerseits vor die Wahl gestellt, seine Forderung nach einem Rauswurf Griechenlands aus dem Euroraum fallen zu lassen oder zurück zu treten. Er entschied sich für ersteres. Es könnte sich aber auch anders verhalten haben: die Kanzlerin sollte als
good cop und der Finanzminister als bad cop auftreten. Am Ende würde die Kanzlerin als erfolgreiche Maklerin von Griechenlands Verbleib im Euro dastehen. Denn es war ja mit erheblichem Widerstand gegen Schäubles Plan zu rechnen. Griechenland erhielt dann ja bei dem Streit starke Unterstützung von den gleichfalls hoch verschuldeten Euro-Ländern Frankreich und Italien. Die lehnten den Rauswurf Griechenlands vehement ab, denn sie wussten, dass es dabei auch um ihre Zukunft im Euro und die Zukunft der Euro-Politik ging.

Am Morgen des 13. Juli 2015 gab der griechische Ministerpräsident Tsipras nach 17 Stunden Verhandlung klein bei und akzeptierte im Gegenzug für neue Kredite die von der Eurogruppe verlangten Sparauflagen eines neuen Memorandums. Alexis Tsipras sah ein, dass das von ihm gewonnene Referendum kein Mandat für den Austritt Griechenlands aus dem Euro und vielleicht sogar aus der EU erteilt hatte. Sein Finanzminister Varoufakis sah das anders und trat zurück. So blieb Griechenland in EU und Euro und begann sich langsam von der desaströsen Staatsschuldenkrise zu erholen, die durch die Diskussionen über einen Rausschmiss aus der Eurozone noch einmal verschlimmert worden war. Heute handeln fünfjährige griechische Staatsanleihen bei Renditen von etwa 0,2% und das Länderrating wurde von allen drei führenden Agenturen von CC auf BB angehoben. Aber der Schuldenstand bleibt irre hoch und hält das Land in völliger Abhängigkeit von der EZB und den starken Euro-Ländern, vor allem von Deutschland.

Andreas Poltermann

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