Neue Runde in der Erpressung der griechischen Politik

Fast das ganze Jahr 2016 über wurde bezüglich der Schuldenpolitik zu Griechenland darüber diskutiert, ob der IWF weiter am Programm beteiligt sein werde. Inzwischen mehren sich die Zeichen, dass der IWF aussteigt. Schäuble will das nicht wahrhaben und will durch weitere Einschnitte in Griechenland den IWF bei der Stange halten. Was bedeutet das für Griechenland und welches Bild von Europa wird bei diesem Spiel gezeichnet?

Schäuble contra IWF
Rufen wir zunächst die Konstellation des letzten Jahres in Erinnerung. Alle paar Wochen wurde über die unterschiedlichen Positionen des IWF und der europäischen Institutionen unter Führung des deutschen Finanzministeriums berichtet (zu den Inhalten des Streits vgl. den Artikel auf unserer Homepage „Obama fordert Reduzierung des griechischen Schuldenberges – und Merkel folgt Schäuble?“). Noch im Oktober 2016 behauptete Schäuble, bis zum Jahresende werde der IWF eine finanzielle Beteiligung am laufenden dritten Kreditprogramm zusagen.[1] Der stellvertretende IWF-Chef Lipton wies die Prognose von Schäuble zurück. Als die deutsche Seite partout nicht wahrhaben wollte, dass es massive Differenzen gab, veröffentlichte der IWF Mitte Dezember seinen Dissens in einem Blog mit dem Titel „Der IWF verlangt nicht noch mehr Austerität von Griechenland“[2]. Daraufhin beschwerten sich EU-Kommission und ESM darüber, dass der IWF seine Meinung öffentlich kundgetan hatte.[3] Nun verhandelt natürlich auch der IWF lieber in Hinterzimmern als im Licht der Öffentlichkeit. Offenbar war dem IWF der Geduldsfaden über die ignorante und starrsinnige Haltung der maßgeblichen Kräfte in den europäischen Institutionen gerissen.

Damit entsteht ein Problem für Schäuble: Wenn der IWF aus dem Kreditprogramm der europäischen Institutionen aussteigen würde, was die Bundesregierung laut „Handelsblatt“ im Januar 2017 nicht mehr ausschloss, „droht ein weiterer schwerer Bruch mit den unionsinternen Leitlinien.“[4] Für diesen Fall will Schäuble angeblich den Bundestag neu über das griechische Kreditprogramm abstimmen lassen. Denn die Unionsfraktion hatte ihre Zustimmung für das Programm bisher an die Beteiligung des IWF geknüpft.

Sven Giegold, Europa-Abgeordneter der Grünen, kommentierte dies: “Die Union kann sich nicht länger der Frage entziehen, wie sie sich zu einem Ausstieg des IWF verhält. … Griechenland darf nicht zum Spielball im Bundestagswahlkampf werden. Es wäre unverantwortlich, Griechenland nun die Unterstützung zu entziehen. Politisch rächen sich die einseitigen Tiraden vieler Falken in der Unionsfraktion über den angeblichen Reformstillstand in Griechenland. … Es fällt der Union nun auf die Füße, dass sie seit Jahren gegen jede noch so geringe Schuldenerleichterung für Griechenland hetzt.“

Bundestag contra Schäuble
Schäuble (und Kauder) behaupteten, dass der Bundestag bei einem Ausstieg des IWF über die Fortsetzung des Kreditprogramms neu abstimmen müsse. Dumm nur, dass die Bundestagsverwaltung mitgeteilt hat, dass eine Befassung nicht zwingend ist. Unter dem Titel „Bundestagsvermerk bringt Schäubles harte Linie in Gefahr“[5] schreibt ausgerechnet die „Welt“:

„Wolfgang Schäuble droht Ärger im Streit um neue Hilfe für Griechenland. Allerdings kommt der Stress dieses Mal nicht aus Athen – sondern vom Wissenschaftlichen Dienst des Bundestags. Die Experten schreiben in einer Stellungnahme für den Linken-Finanzexperten Axel Troost nämlich Folgendes: ‚Unter beteiligungsrechtlichen Gesichtspunkten nach dem ESM-Finanzierungsgesetz macht die Nichtteilnahme des IWF jedoch für den Bundestag unmittelbar keine Plenarbefassung erforderlich.‘ Was bürokratisch klingt, birgt jede Menge Sprengstoff. Denn die Begründung des Wissenschaftlichen Dienstes widerlegt Schäubles Behauptung, wonach bei einem Ausstieg des Internationalen Währungsfonds (IWF) aus dem dritten Rettungspaket für Griechenland zwingend ein neues Hilfspaket aufgesetzt und vor das Parlament zur Entscheidung gebracht werden müsste. Mit dieser Behauptung hatte der Bundesfinanzminister sowohl den Griechen als auch dem IWF Druck gemacht, im Streit um einen Schuldenschnitt für Griechenland endlich nachzugeben.“

Die harte Linie ist also politische Taktik. Offen bleibt, ob dies aus Wahlkampfgründen[6] oder aus Verbohrtheit erfolgt oder weil Schäuble nach Juli 2015 einen zweiten Anlauf nimmt, einen Grexit zu erzwingen.[7]

Scheinlösung: Griechenland weitere Daumenschrauben anlegen…
Ende Januar/Anfang Februar wurde eine neue Drohkulisse gegenüber Griechenland aufgebaut und gleichzeitig suggeriert, dass der IWF vielleicht doch im Boot bleibe. Ausgangspunkt ist wiederum die zwischen IWF und der Schäuble-Fraktion strittige Frage, ob Griechenland ab 2018 einen Primärüberschuss von 3,5 % der Wirtschaftsleistung im Haushalt erzielen kann bzw. soll. Auf deutsche Verhältnisse übertragen, würde dieser Betrag ungefähr ein Einsparvolumen von 100 Milliarden € pro Jahr in allen öffentlichen Haushalten ausmachen. Dies ist unmöglich und ökonomisch komplett unsinnig.

Was hat man sich überlegt, um die Wirklichkeit auszublenden und die politisch-taktischen Lügen aufrechterhalten zu können? Wenn Griechenland das Ziel 3,5 % nicht einhält, soll es die Lücke anderweitig ausgleichen – und deshalb eine Summe von 3,6 Milliarden € mehr einnehmen (durch Steuererhöhungen) und einsparen (durch weitere Rentenkürzungen). Für diesen Plan bestehen angeblich alle Euro-Länder und der IWF auf einer Vorrats-Gesetzgebung des griechischen Parlaments. Selbst die Syriza-kritische Presse in Griechenland spricht diesbezüglich von einer neuen Erpressungs-Strategie.

Ohne einen Kniefall von Tsipras in diesem Sinne will anscheinend die Eurogroup den Abschluss der sog. zweiten Evaluierung des griechischen „Reformprogramms“ zumindest bis zu den Wahlen in den Niederlanden hinausschieben. Wenn diese Evaluierung nicht abgeschlossen wird, würden die europäischen Institutionen die zugesagten rund 7 Milliarden € aus dem 86 Milliarden €-Rettungsprogramm nicht auszahlen. Griechenland braucht dieses Geld aber im Juni und Juli dieses Jahres zur Umschuldung anderer Kredite. Wenn es bis dahin eine Hängepartie gibt, kommt das Thema Griechenland unweigerlich in den Bundestagswahlkampf und wäre dort Futter für die AfD und die Populisten anderer Parteien, die behaupten, dass die Griechen zu Lasten der deutschen Steuerzahler/innen über ihre Verhältnisse leben.

… ist eine Inszenierung für Europa
De facto wäre dies eine Inszenierung für das gesamte europäische Publikum: jede Kraft, die sich nicht den Regeln der Austerität, des Kaputtsparens und der ökonomischen Ungleichgewichte im Euro-Raum unterwirft, wird abgestraft. Dies ist – man kann es nicht anders sagen – mindestens fahrlässige Brandstiftung am europäischen Haus. Oder in den Worten von Ulrike Herrmann (Taz): „Deutsche Wähler goutieren Schäubles Stärke, doch jenseits der Grenzen verfestigt sich ein unschönes Bild: Deutschland erscheint als ein irrationaler Hegemon, der Europa dominiert und schwächere Staaten grausam quält. Das wird sich noch rächen.“[8] Denn natürlich werden andere europäische Politiker aus dieser Inszenierung ihre Schlussfolgerungen ziehen: es wird welche geben, die sich von diesem Europa abwenden oder bei anderer Gelegenheit, wenn eine deutsche Regierung Kooperation oder Solidarität einfordern, diese verweigern und ihren eigenen Vorteil durchsetzen.

Bei der Bewältigung der griechischen Schuldenkrise geht es also nicht nur um diese selbst: die Schäuble-Fraktion nimmt ein Auseinanderdriften in Europa in Kauf. Die tragenden Kräfte der deutschen Austeritätspolitik konnten ihren Kurs in den letzten Jahren durchziehen. Das europäische Haus drohte und droht zwar zusammenzustürzen, die Einschläge waren massiv und die politischen Kräfte (Rechtspopulisten), die zugunsten ihrer nationalen Scheinlösungen den ganzen Bau von innen zerstören wollen, wurden stärker und es droht, dass sie nun in den Niederlanden, Frankreich oder Italien Wahlen gewinnen können. Eigentlich sollte dies Anlass sein, den Kurs zu überdenken. (Es sei denn, die Absicht ist, gezielt die EU und die Eurozone zu spalten und auf einen starken „Nord-Euro“ zu setzen.) Le Pen z. B. würde bei einem Wahlsieg über einen Austritt aus dem Euro abstimmen lassen wollen. Offenbar ist dennoch „Weiter so“ angesagt. [9]

Die Diskussion in Deutschland öffnet sich

Gibt es in Deutschland, namentlich in den beiden Regierungsparteien, neben dieser dominanten Position noch andere Kräfte?

Anfang Februar wurde publik, dass Sigmar Gabriel noch als Wirtschaftsminister Anfang Januar 2017 in einem Brief an die Kanzlerin die Haltung des Bundesfinanzministeriums bezüglich der Schulden und Haushalts-Auflagen für die Griechen kritisiert habe. „Gabriel forderte demnach eine ‚konstruktive Rolle‘ Deutschlands im Streit mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF). Er schlug vor, das Primärüberschuss-Ziel ab 2018 für Griechenland von 3,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts auf drei Jahre zu begrenzen. Danach könnte es reduziert werden, ohne dass ein Schuldenschnitt für das Land nötig werde, so der heutige Außenminister.“[10] Schäuble lehnte ab. Zudem sagte Gabriel bei seinem ersten Besuch in seiner neuen Funktion als Außenminister in New York, es mache keinen Sinn, an einzelnen Staaten auszuprobieren, wie weit diese noch in der Euro-Zone blieben könnten. Was aus diesen Äußerungen folgt, muss sich in der Praxis noch erweisen.

Mitte Februar plädierte nun der Vorsitzende der EVP-Fraktion im Europäischen Parlament, Manfred Weber (CSU), dafür, nicht mehr auf einer Beteiligung des Internationalen Währungsfonds (IWF) zu beharren. „Wenn der IWF auf einem Schuldenschnitt besteht, sollte man ihn ziehen lassen“, sagte Weber der Süddeutschen Zeitung. „Europa kann jetzt auf eigenen Füßen stehen.“[11] Und er fuhr laut „Süddeutscher Zeitung“ fort: „‘Man kann nicht gleichzeitig für den IWF sein und gegen einen Schuldenschnitt.‘ Er verwies zudem darauf, dass die USA im IWF als größter Anteilseigner des Fonds über entscheidenden Einfluss verfügen. Damit sei man nach dem Machtwechsel in Washington aber auf die Kooperationsbereitschaft des neuen US-Präsidenten Donald Trump angewiesen.“ CDU-Fraktionschef widersprach ihm unmittelbar.[12]

Mit der ungelösten Finanzkrise um Griechenland wird die europäische Krise angefeuert
Für Griechenland ist zweierlei entscheidend: Erstens, dass es im Juni/Juli 2017 eine neue Rate aus dem dritten Kreditprogramm bekommt, ohne vorherige Grexit-Drohung; zweitens, dass es nicht ständig Störfeuer aus europäischen Kreisen bekommt, weil dies eine wirtschaftliche Belebung verhindert.

Der leichte Dissens in der Koalition bietet die Chance, in Deutschland mit mehr Gehör und stärkerer Resonanz öffentlich für Schuldenerleichterungen einzutreten. Und für diejenigen, denen noch etwas am Zusammenhalt Europas liegt, sollte die Konsequenz klar sein, dass die ständigen Erpressungen gegen Griechenland auf alle wackligen Ökonomien in Europa abzielen und die Krise Europas gravierend verschärfen. Oder kurz gesagt: Europäische Krise und griechische Schuldenkrise hängen zusammen.

Reiner Schiller-Dickhut


[1] z. B. Süddeutsche Zeitung, 9. 10. 2016, „IWF verwahrt sich gegen deutsches Griechenland-Ultimatum“

[2] http://blog-imfdirect.imf.org

[3] „Wir hoffen, dass wir zu der Praxis zurückkehren können, Verhandlungen über das Programm mit der griechischen Regierung vertraulich zu führen.“ siehe Süddeutsche Zeitung 13. 12. 2016: „Sparen oder nicht sparen“

[4] Handelsblatt 19.1.2017

[5] https://www.welt.de/print/die_welt/finanzen/article161864337/Schaeuble-wird-zurueckgepfiffen.html

[6] Es ist müßig zu spekulieren, ob Schäuble im Wahlkampf das Thema Griechenland in den Bundestag zieht, um seine harte Austeritätspolitik als Bollwerk gegen eine angebliche rot/rot/grüne Gefahr zu demonstrieren, um die Flanke gegenüber der AfD zu schließen oder ob er der AfD geradezu eine Forum für ihre europafeindliche Politik bietet, wenn er das Thema Griechenland „hochzieht“.

[7] Siehe auch das Statement von Axel Troost: http://www.axel-troost.de/article/9416.griechenland-schaeuble-dreht-durch.html

[8] Ulrike Herrmann: Sparen im Konjunktiv, taz 9.2.2017

[9] Ich empfehle dazu den verzweifelten Kommentar eines Italien-Korrespondenten auf „Spiegel online“ unter dem Titel „Deutsch-italienischer Streit. Dann ist Schluss mit Europa“ mit dem Einstieg „Brüsseler Erbsenzähler und Berliner Oberlehrer verbieten Italien das Schuldenmachen. Die Attacken aus Europas Norden sind ein Fest für Rechtspopulisten im Süden. Wissen die EU-Bürokraten, was sie riskieren?“ http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/italien-und-schulden-bruessel-und-berlin-treiben-waehler-in-die-arme-von-anti-europaeern-a-1132995.html. Griechenland ist längst nicht das einzige Euro-Land mit gravierenden Risiken im Finanzsektor.

[10] http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/griechenland-schaeuble-bestreitet-uebertriebene-haerte-a-1133087.html

[11] http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/schuldenkrise-in-griechenland-union-schwenkt-bei-griechenland-rettung-um-1.3380777

[12] http://www.sueddeutsche.de/news/wirtschaft/finanzen-kauder-besteht-auf-iwf-beteiligung-bei-griechenland-hilfen-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-170216-99-312351