Zur historischen Verantwortung gegenüber Griechenland

Fachgespräch Bündnis90/ Grüne Bundestagsfraktion:
Erinnern. Gedenken. Aufarbeiten – Die Bedeutung unserer historischen Verantwortung für die deutsch-griechischen Beziehungen (02.03.2020)

Inhalt und Programm

Keynote
Hilde Schramm (Respekt für Griechenland e.V.)

Die Bearbeitung der NS-Vergangenheit in der alten BRD sowie nach der Wende, in Gesamtdeutschland, ist eine Abfolge von immer neuen Öffnungen, veränderten Bewertungen und Einstellungsänderungen. Stück für Stück wurden Falschinformationen, Ausblendungen und Leugnungen abgetragen.

Hierfür zwei Beispiele:

  • Wehrmachts-Deserteure galten noch 40 Jahre nach der Befreiung vom Faschismus als Vaterlandsverräter. Inzwischen werden sie in 30 Städten Deutschlands durch Denkmäler geehrt.
  • Die Wehrmachtsausstellung löste 1995 einen Sturm der Empörung aus. Inzwischen werden deren Aussagen von der überwiegenden Mehrheit der Gesellschaft akzeptiert.

Die meisten Neubewertungen wurden von zivilgesellschaftlichen Initiativen angestoßen und trafen zunächst auf Unverständnis und Widerstände. Politische Unterstützung erhielten die Initiativen dann im Laufe der 80iger Jahre von den Grünen, die deren Themen in die Parlamente auf Bundes- und Landesebene trugen. Die dort erzwungenen Debatten wirkten meinungsbildend – auch wenn Anträge gar nicht oder erst viel später angenommen wurden.

Die Übernahme historischer Verantwortung nicht nur durch Worte, sondern durch das Bemühen um Wiedergutmachung – wenn diese auch immer ungenügend bleibt – durchzieht die Geschichte der Grünen und gehört zu ihrer politischen Identität.

Und jetzt steht Griechenland an. Das wird schwierig, denn Deutschland schuldet dem Land, da alle bisherigen Regierungen nur darauf bedacht waren, nichts oder so wenig wie möglich zu zahlen, sehr, sehr viel. Aber es ist der richtige Zeitpunkt. Und es ist vertretbar, sich jetzt auf Griechenland zu konzentrieren, auch wenn andere Ländern wie Belarus mindestens so schrecklich unter den Deutschen gelitten haben.

Mit dieser Aussage grenze ich mich von Karl-Heinz Roth und Hartmut Rübner ab, deren Studien ich gleich wohl für ausgezeichnet und unverzichtbar für alle, die sich mit der Reparationsmaterie befassen, halte. Ein Flyer zu ihrem 2. Buch „Verdrängt. Vertagt. Zurückgewiesen“ liegt aus. Die Autoren plädieren für eine europäische Lösung der „Reparationsschuld“. Hierfür aber sehe ich in absehbarer Zeit keiner Realisierungschancen. Ich fürchte vielmehr, dass durch die weitgespannte Zielsetzung mögliche Zahlungen an ein einzelnes Land, wie Griechenland, verhindert werden. Ob irgendwann die Reparationsfrage im europäischen Rahmen noch mal aufgerollt wird, wird die Zukunft zeigen.

Ich begründe die Zuwendung zu Griechenland zum jetzigen Zeitpunkt, wie folgt:

In Griechenland ändert sich seit etwa 1990 das Narrativ zur deutschen Okkupation. Es wird komplexer, bezieht Themen wie die Kollaboration von Teilen der griechischen Bevölkerung ein, wendet sich verstärkt der jüdischen Geschichte Griechenlands zu, Erinnerungen an das Durchlittene werden oft erstmalig mitgeteilt. Dieser Durchbruch in der Bearbeitung der eigenen Geschichte – von der Politik bis zum Schulunterricht – schärft zwangsläufig den kritischen Blick auf Deutschland. Zugleich wird die Frage, was schulden die Deutschen uns noch, von vielen nicht mehr stereotyp beantwortet.

Veränderungen gibt es auch in Deutschland. Im Verein „Respekt für Griechenland“ beobachten wir ein steigendes Interesse an einer Auseinandersetzung mit dem NS-Terror. Mit unserer Kampagne „Deutsche Kriegsschuld und Verpflichtungen gegenüber Griechenland“ wollen wir dazu beitragen, die Leerstellen in der eigenen und kollektiven Erinnerung zu verringern und die Verdrängung in unserer Gesellschaft abzubauen. Zu diesem Zweck zeigen wir den Dokumentarfilm „Der Balkon- Wehrmachtsverbrechen in Griechenland“ am Beispiel der Vernichtung des Dorfes Lyngiades. In den anschließenden Gesprächen hören wir immer wieder: Das haben wir ja gar nicht gewusst.

Die Veränderungen in der Gesellschaft korrespondieren mit Veränderungen in der Politik. Die entscheidende Veränderung ist: Während die Massaker an der Zivilbevölkerung bis in die 90iger Jahre als „allgemeine Kriegsfolgen“ oder „Maßnahmen im Rahmen der Kriegsführung“ abgetan wurden, werden diese Massaker heute von Politikern und Politikerinnen offiziell als Kriegsverbrechen und als Verbrechen gegen die Menschlichkeit bezeichnet. Damit ist eine Barriere gegen die Anerkennung der historischen Schuld beseitigt. Bei Staatsbesuchen und Gedenkfeiern werden Entschuldigungen im Namen Deutschlands und Bitten um Verzeihung vorgetragen. Gleichzeitig hält die gegenwärtige Regierung aber an der formelhaften Behauptung „alles erledigt“ „alles abschließend geregelt“ fest.

Wir haben eine bipolare Situation: Die Verbrechen werden nicht mehr geleugnet, wie früher, aber daraus folgt keine Änderung des Verhaltens. Für mich grenzt dieses Auseinanderfallen von Einsicht und Handeln an politische Schizophrenie. Oder abgehobener ausgedrückt, eine solche kognitive Dissonanz drängt auf Auflösung. Sie lässt sich nicht ewig durchhalten.

Indem die Bundestagsfraktion Bündnis 90/ Die Grünen anschließend an das Fachgespräch den Film „Der Balkon-Wehrmachtsverbrechen in Griechenland“ zeigt, signalisiert sie, dass sie ernsthaft nach Antworten auf die Reparationsforderungen aus Griechenland sucht.

Um die Gesprächsblockade zur materiellen Seite der Kriegsschuld zu durchbrechen, richten wir von Respekt für Griechenland Forderungen an die deutsche Politik, die wir für vorrangig und kurzfristig realisierbar halten. Diese sind:

– Erstattung des Lösegelds für jüdische Zwangsarbeiter in Thessaloniki

– Erstattung der Bahnfahrkarten der Deportierten in den Tod

– Zurückzahlung des Zwangskredits.

Insbesondere die Rückzahlung des Zwangskredits würde viele Menschen in Griechenland davon überzeugen, dass in Deutschland eine neue Phase der Auseinandersetzung mit der historischen Kriegsschuld begonnen hat. Aber nur – wenn ein markanter Einschnitt wahrgenommen werden kann. Viele kleine Schritte taugen dazu nicht.

Gegenwärtig fördert die Bundesregierung fast nur Jugendbegegnungen und Projekte in den Bereichen Kunst, Kultur, Wissenschaft und Bildung. Davon kann es gar nicht genug geben. Aber eine Verlagerung in den Überbaubereich reicht nicht. Die deutsche Regierung erhofft sich davon einen Prozess der Versöhnung. Aber dieser wird nicht stattfinden, solange keine Fördergelder auch in anderen Lebenswelten der Griechen ankommen.

In diesem Sinne plädiert Respekt für Griechenland für die Unterstützung einer nachhaltigen Entwicklung im ländlichen Raum unter besonderer Berücksichtigung von Opfergemeinden. Für gemeinwohlorientierte Projekte, die von den Kommunen selbst gewünscht werden, sollte die Bundesrepublik Deutschland kurzfristig Mittel bereitstellen. Weiterreichende Programme, die bei den gegenwärtigen sozialen und ökologischen Problemen im Land ansetzen, müssten folgen.

Die dafür benötigen Gelder können als nachholende Wiederaufbauhilfe gedeutet oder als indirekte Reparationszahlungen verstanden werden. Sie wären in jedem Fall ein Beitrag zu einer ökologischen und gemeinwohlorientierten Modernisierung Griechenlands.

In der Anerkennung solcher Verpflichtungen sehen wir von Respekt für Griechenland die notwendige Voraussetzung für stabile und gute deutsch-griechische Beziehungen.

Ich danke den anwesenden Bundestagsmitgliedern und ihren wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen für dieses Fachgespräch und hoffe auf weitere energische Schritte.