Bericht von Ulli Jossner
(Quelle: RfG-Newsletter April 2024)
„Griechenland kommt!“ diesem Fazit von Dr. Hilde Schramm stimmte Dr. Erika Buchholz, von der Stiftung Topographie des Terrors, unbedingt zu.
Denn sie konnte sich nicht an eine so bis auf den letzten Platz gefüllte Veranstaltung in den letzten Jahren erinnern. Viele der über 200 Teilnehmer*innen der gemeinsam mit RfG durchgeführten Veranstaltung „Vergessene Kriegsverbrechen von Wehrmacht und SS in Griechenland“ am 23. April 2024 äußerten ungläubig, nachdem sie die Kurzfassung des Films „Der Balkon“ gesehen hatten, das geflügelte Wort „Das habe ich ja gar nicht (so genau) gewusst!“.
Dieses Defizit war ja auch der Hauptgrund dafür, dass Respekt für Griechenland e.V. den Film in Deutschland propagierte und aufführte und dann vom Regisseur Chrysanthos Konstantinides eine 43’-Kurzfassung des mehrfach ausgezeichneten 100’-Films erstellen ließ. Gerade Jugendliche sollten mehr über dieses Thema wissen. Deshalb hat RfG das umfangreiche Materialpaket entwickelt, wie Hilde Schramm in ihrem Vortrag ausführte.
Für die meisten im Publikum waren die Ausführungen des Historikers und wissenschaftlichen Mitarbeiters am „Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit“ der Stiftung Topographie des Terrors, Dr. Iassonas Chandrinos, über die während des Zweiten Weltkriegs von Wehrmacht und SS verübten Verbrechen in Griechenland, die Erinnerungspolitik in Griechenland und Deutschland nach 1945 in dieser Zusammenschau neu.
Vor allem die Geschichte des griechischen Bürgerkriegs 1945-1949 als Blockade der intensiven Beschäftigung mit der deutschen Besatzungszeit war für viele eine Überraschung.
Besondere Empörung riefen die von ihm referierten Urteile der deutschen Justiz hervor, die die Täter entlasteten. Dazu gehörte auch der Druck der Adenauer Regierung auf Griechenland, der letztlich dazu führte, dass Max Merten, der Wehrmachtsbefehlshaber Saloniki-Ägäis, der wesentlich an der Ausplünderung und Deportation der rund 50.000 Juden in Thessaloniki nach Auschwitz beteiligt war, schon nach ein paar Monaten Haft in die Bundesrepublik nach Deutschland ausgeliefert und nach elf Tagen freigelassen wurde, statt 25 Jahre in Griechenland abzusitzen.
Nach einer Kurzvorstellung der Aktivitäten von RfG stellte Hilde Schramm den partizipatorischen Ansatz bei der Entwicklung der Begleitmaterialien für den Film „Der Balkon“ vor und bedankte sich herzlich bei Bettina Münch-Rosenthal und Lars Limbach, die extra für die Veranstaltung aus Rheinland-Pfalz angereist waren, und würdigte ihren Beitrag, der wesentlich zur Verbreitung unseres Projektes beigetragen hat.
Sie betonte, dass es sich Schritt für Schritt, ohne staatliche Hilfe und Finanzierung, verbreitet hat. Das lag natürlich nicht zuletzt daran, dass alle Lehrer*innen und Schüler*innen, die daran teilgenommen haben, den Film sehr bewegend fanden und die von RfG entwickelten Begleitmaterialien als sehr wertvoll einschätzten.
Der „Balkon“ diente mehrfach auch als Einstieg in Projekte. So führte die Beschäftigung mit dem Film schließlich sogar dazu, dass es zu einer deutsch-griechischen Schülerbegegnung in Athen kam, und auch zu einer Schülerreise der Hermann-Gmeinder Realschule in Daaden nach Kommeno, aus der sich der Wunsch griechischer Jugendlichen entwickelte, nach Daaden zu fahren – was dann auch gemacht wurde. Es war der Lehrer Lars Limbach, der schon mit seinen Schüler*innen eine Navigationshilfe ausgearbeitet hatte, der diesen Austausch angestoßen hatte.
Und er konnte auch Amar Bašić, den Verantwortlichen für die Projekte von RfG in Kommeno, auf der Veranstaltung begrüßen.
Amar Bašić referierte über die RfG-Aktivitäten in Kommeno. Lakonisch fragte er, warum wir in seinem Eröffnungsfoto des heutigen Dorfes in Nordgriechenland keine schönen Steinhäuser sehen, die wir doch so lieben. Die waren jedoch im Massaker der 1. Gebirgsdivision der Wehrmacht fast alle niedergebrannt worden. 317 Menschen wurden am 16. August 1943 ohne Gegenwehr ermordet und fast 300 Häuser vollständig zerstört.
Dass die Dorfbewohner sich auf ein Projekt eines deutschen Vereins einließen, lag auch daran, dass sie Amar, dessen Familie 1992 während des jugoslawischen Bürgerkrieges aus Bosnien floh, auch als Opfer sahen. Und auch daran, dass er den Griechen nichts überstülpte, sondern partizipatorisch Schritt für Schritt in Abstimmung erst einen Audiowalk, dann ein Mahnmal erschuf. Die Zuschauer*innen konnten dann nachverfolgen, wie inzwischen ein Haus umgebaut wurde (das bald von einem Freundeskreis von RfG gekauft werden wird), um dem Ort die Möglichkeit zu geben, Touristen zu beherbergen.
Dort waren inzwischen Schüler und Schülerinnen aus Daaden, die zusammen mit Jugendlichen aus dem Ort einen Garten um das Mahnmal erschufen und sich so anfreundeten, dass sie inzwischen in Daaden waren. Und Erwachsene fragen inzwischen auch schon, ob denn nicht auch sie fahren könnten.
Griechenland kommt – wenn man wie RfG einen „kleinen“ Anschub gibt.