Analysen zur aktuellen griechischen Politik im Herbst 2016

In seinem Griechenland-Blog auf der Homepage von Le Monde Diplomatique hat Niels Kadritzke in einer dreiteiligen Serie „Herbstlese“ (http://monde-diplomatique.de/shop_content.php?coID=100070) einige eher grundsätzliche Betrachtungen der Situation in Griechenland veröffentlicht. Während er deutliche Versäumnisse der Syriza-Regierung  herausstellt, betont Axel Troost (MdB Linkspartei) in einem längeren Kommentar die außerordentlich schwierigen Rahmenbedingungen für die Tsipras-Regierung (http://www.sozialismus.de/kommentare_analysen/detail/artikel/linke-realpolitik-unter-austeritaets-zwaengen/). Im Folgenden werden die kenntnisreichen Beiträge kurz vorgestellt.

Kadritzke: Herbstlese III

Beginnen wir mit der Herbstlese III, die Aussichten und Aufgaben für die Zukunft beschreibt.

„Im dritten Teil meines Berichts über die Lage in Griechenland geht es um die Frage, wieweit die Regierung Tsipras die Chance, die Fähigkeit und die Konzepte hat, um das Land aus der Krise herauszuführen. Entscheidend für den Befund ist dabei das Bemühen – und die Erfolgsquote – bei der Durchsetzung überfälliger Reformen, die von keiner der früheren Regierungen ernsthaft angepackt wurden.“

Der Artikel beginnt mit Reflexionen zum Reformbegriff im Allgemeinen und die Mechanismen, die Reformen in der griechischen Gesellschaft erschweren. Er untersucht dann sehr tiefschürfend zwei zentrale Reformfelder: a) die Mängel bei der Eintreibung von Steuern, mitsamt einiger Chancen, die die Tsipras-Regierung vertan hat; b) die Reform des öffentlichen Dienstes mit einer Beschreibung des schlechten status quo, und den erheblichen Widerständen gegen eine Reform. (Der Rezensent teilt dabei nicht die Schärfe der Kritik an den verpassten Chancen der Tsipras-Regierung; ein Beispiel: ihr wird eine mangelnde Evaluation des öffentlichen Dienstes vorgehalten – ja: stimmt –  und dass sie eine „Röntgenaufnahme“ desselben unterlassen habe – als ob man die Krankheiten eines komplexen öffentlichen Dienstes quasi mit einer Aufnahme erfassen könnte). Der Artikel schließt mit einer Darstellung, dass Syriza Vertrauen verspielt durch mangelnde Konsequenz bei Reformen, mangelnde Transparenz sowie Ehrlichkeit und illustriert dies an einigen aktuellen Beispielen: a) Streit um die griechische Statistik-Behörde Elstat, die angeblich 2009 das Staatsdefizit künstlich groß gerechnet habe; b) die Vergabe der Lizenzen für private Fernsehsender, die durch Intransparenz gekennzeichnet sei und Filz reproduziert habe.

Kadritzke: Herbstlese II

Im zweiten Teil seiner Herbstlese schildert Niels Kadritzke die wirtschaftliche Situation in Griechenland im Herbst 2016 vorwiegend anhand eines Beispiels. Seine Einleitung ist gleichsam auch ein ernüchterndes Resümee:

„Griechenland ist am Ende dieses Sommers eine Gesellschaft, die sich im Kampf um das tägliche Überleben verzehrt. Und die zugleich jede Hoffnung verloren hat, dass ihre politische Klasse einen Ausweg aus der Krise weisen, geschweige denn einschlagen kann. Ich habe diese kollektive Depression an einem bestimmten Ort erlebt, auf einer Insel, die ich seit langem kenne. Fast alle Komponenten, aus denen sich die griechische Krise zusammensetzt, sind hier in Nahaufnahme zu besichtigen.“

Ein weiterer Schwerpunkt dieses Artikels sind empirische Aussagen zum Mehrwertsteueraufkommen, insbesondere zum Zusammenhang zwischen erhöhter Steuer in bestimmten Bereichen und erhöhter Hinterziehungsrate, und zu Möglichkeiten, das Aufkommen zu steigern. Erschütternd einzelne Schlaglichter zu den zunehmend schwierigen Lebensverhältnissen für große Teile der Bevölkerung; z.B. seien im Vergleich zum Vorjahr die Konsumausgaben in Supermärkten (also für den Grundbedarf) um 11 % gesunken.

Kadritzke: Herbstlese I

Der erste Teil dieser Serie von Niels Kadritzke geht ins Grundsätzliche und beschreibt die griechische Krise und in ihr die Stellung von Syriza bzw. der Tsipras-Regierung schonungslos. Nach Darstellungen zur Entwicklung von Syriza zu einer sozialdemokratischen Partei und zerschollenen Hoffnungen auf europäische Solidarität kommt er zum entscheidenden Punkt:

Die „neue Athener Regierung sah sich – wie ihre Vorgänger – zum bloßen Objekt der Entscheidungen und zum Opfer der Machtverhältnisse innerhalb der Union und der Eurozone degradiert. Aktive Mitwirkung war damit nur in einem Bereich möglich, den sie selbst gestalten und verändern kann: die innergriechische Realität. Auf diesem Gebiet gibt es zwar reichlich zu tun, aber das setzt die Einsicht voraus, dass die griechische Misere das Resultat nicht nur einer aufgezwungenen, sondern auch einer hausgemachten Krise ist: ein toxischer Mix aus den soziopolitischen Pathologien des Landes und den krisenverschärfenden Spardiktaten der Troika.“ Syriza neige dazu, „die Misere des griechischen Klientelismus fast exklusiv den einheimischen Eliten und Oligarchien anzulasten.“ Sie hätte „‘das Volk‘“ nicht nur als Opfer des Systems … bemitleiden, sondern auch als „mündige Bürger“ ansprechen (sollen). Das heißt auch als Nutznießer des von der politischen Klasse betriebenen Klientelsystems, das sie mit getragen oder zumindest toleriert haben. Schließlich hatten bis 2009 regelmäßig vier Fünftel der aktiven Wähler für die Parteien gestimmt, deren Korruptionsenergie niemand verborgen bleiben konnte.“

Axel Troost: Linke Realpolitik unter Austeritätszwängen

Axel Troost (stellvertretender Vorsitzender der Partei DIE LINKE und finanzpolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion DIE LINKE) betont in einem Kommentar in der Zeitschrift „Sozialismus“ (http://www.sozialismus.de/kommentare_analysen/detail/artikel/linke-realpolitik-unter-austeritaets-zwaengen/) hingegen stärker die außerordentlich schwierigen Rahmenbedingungen für Syriza und hebt hervor, was Syriza dennoch erreicht. Hauptthema seines Artikels ist „die alltägliche Realpolitik – also die politischen Maßnahmen, die sich aus den konkreten Vorgaben der Troika sowie den konkreten Plänen und Maßnahmen der linken Regierung ergeben. In Deutschland wird zu wenig berichtet, wie sich die realpolitische Situation in Griechenland gestaltet, welche Zwänge herrschen und wie die linke Regierung ihre verbliebenen Autonomiespielräume zu nutzen versteht.“

Er beschreibt anhand einiger Beispiele, wie die europäischen Institutionen der griechischen Regierung auch bei kleinen fiskalischen (zur Steuerpolitik) oder sozialpolitischen Maßnahmen Knüppel zwischen die Beine wirft. Zwei weitere Schwerpunkte sind der aktuelle Verhandlungsstand um die Privatisierungspolitik und die Rüstungspolitik – hier zeigen sich die europäischen Institutionen ausnahmsweise generös.

Sein Resümee lautet: Es sei angesichts der Rahmenbedingungen „bewundernswert und hat den Respekt der Linken in ganz Europa verdient, mit welcher Ausdauer die Regierung SYRIZA unverzagt kämpft – kämpft, um den auferlegten Austeritätsdruck nicht – wie die Vorgängerregierungen überwiegend – auf die schwachen und marginalisierten Gruppen abzuwälzen, sondern die aufgezwungenen finanziellen Einschnitte und Deregulierungen so sozial verträglich wie möglich zu gestalten.“